Feminisierte Samen und gequälte Pflanzen – ist Stress vererbbar?

Die Ausgangslage

Seit einigen Jahren besorge ich mir im Frühjahr einen Cannabissteckling, pflanze ihn in meinen Garten und beobachte, wie die Pflanze sich über den Sommer hin entwickelt.

Die Stecklingsvermehrung

Um einen Steckling zu erhalten, schneidet man einen Trieb der Mutterpflanze ab und lässt ihn in feuchte Erde, Steinwolle oder einem Wasserglas, bis er Wurzeln bildet. Da es sich bei diesem Trieb um die Mutterpflanze handelt, ist die Pflanze, die aus dem Steckling wächst, ein und dieselbe Pflanze wie die Mutterpflanze – wenn man so möchte, ein Klon mit identischen Eigenschaften und Geschlecht.

Die Bedeutung weiblicher Pflanzen

Da bei Cannabis nur die weiblichen Pflanzen berauschend sind, sind diese natürlich besonders interessant für Konsumenten und die Medizin.

Herausforderungen bei der Zucht

In der Natur ist das Verhältnis zwischen Mann und Frau nahe 1:1. Wenn ich demnach also 10 Samen habe, dann sollte ich damit rechnen, dass die Hälfte männliche Pflanzen werden. Die männlichen Pflanzen eignen sich aufgrund ihrer Faserbeschaffenheit besser als weibliche Pflanzen, um beispielsweise Kleidung herzustellen.

Unerwünschte männliche Pflanzen

 

Weil die männlichen Pflanzen aber keine berauschende Wirkung haben, sind sie von Konsumenten und der Medizin nicht gewünscht. Weiterhin haben sie den Nebeneffekt, die weiblichen Pflanzen zu bestäuben, sodass die Cannabisblüte Samen ausbildet und damit das spätere „Produkt“ verunreinigt.

Bestimmung des Geschlechts und der Wachstumsphase

Übrigens lässt sich erst erkennen, wer Männlein und wer Weiblein ist, wenn die Pflanzen in die Blüte gehen, was sie automatisch tun, wenn die Tage nur noch 12 Sonnenstunden haben, sprich wenn es Herbst wird. Einen Steckling sollte man immer vor der Blüte, also in der Wachstumsphase, ziehen, da die Pflanze in dieser Phase die Wachstumsfreudigkeit und Vitalität an den Steckling weitergibt, was in der Blütephase nicht mehr so der Fall ist.

Die Lösung: Feminisierte Samen?

Der aufwendige Weg zur Mutterpflanze

Aber wie soll ich einen Steckling mit Wunschgeschlecht ziehen, wenn ich dieses erst in der Blütephase erkennen kann? Ganz einfach! Ich nehme zum Ende der Wachstumsphase Stecklinge von meinen 10 Samen, schicke die großen Pflanzen in die Blüte, indem ich den Lichtintervall auf 12 Stunden Tag/Nacht verändere, und kann sobald die Pflanzen in die Blüte gehen, das Geschlecht bestimmen und auf die Stecklinge übertragen.

Die einfachere Alternative: Feminisierte Samen

Das ist ganz schön viel Aufwand, um an eine Mutterpflanze zu kommen. Viele sparen sich diesen Aufwand und greifen direkt zu feminisierten Samen aus dem Fachhandel. Das bedeutet, wenn man den Samen keimen lässt, also aussät, dann erhält man zu 99% eine weibliche Pflanze!

Der Weg zur feminisierten Samen

 

 

Aber wie geht das? Naiv wie ich bin, dachte ich, man würde das Bienchen und Blümchenspiel ganz normal vollziehen und könnte dann die dadurch erhaltenen Samen mittels einer besonderen Technik in Männchen und Weibchen sortieren… Aber nein, so ist es nicht.

Die Methode der feminisierten Samen

Um feminisierte Samen zu erhalten, braucht man zunächst zwei weibliche Pflanzen. Eine davon setzt man dann unter extremen Stress, indem man sie mit einer Lösung aus Silbernitrat und Thiosulfat (Silberthiosulfat-Lösung oder STS)  zu Beginn der Blütephase einsprüht. Wenn weibliche Cannabispflanzen in der Blütephase sehr großem Stress ausgesetzt sind und sie davon ausgehen, dass sie keinen „Partner“ finden, der den Arterhalt sichert, fängt sie selbst an und treibt männliche Blütenstände aus, um sich selbst zu bestäuben und damit Samen zu produzieren.

Reaktion der Pflanze nach einer STS-Behandlung

Das Silbernitrat verhindert, dass die Pflanze nicht zu einem Männchen wird, sondern genetisch eine weibliche Pflanze bleibt, die Pollen ausbildet.
Der Pollen wird nun verwendet, um das zweite ungestresste Cannabisweibchen zu bestäuben.
Die Samen, die aus dieser Bestäubung resultieren, sind zu 99% weiblich, da sie von zwei weiblichen Pflanzen gezogen wurden.

Die epigenetische Frage

Ein interessanter Punkt, der sich aus diesem Prozess ergibt und im Kontext der Cannabiskultur diskutiert wird, ist die Frage, ob der durch Stress ausgelöste Mechanismus zur Selbstbestäubung und Samenproduktion möglicherweise als eine Art Information oder epigenetische Veränderung an die Nachkommen, sprich die Samen, weitergegeben wird. Eine faszinierende Frage, die in der Pflanzenbiologie und Epigenetik erforscht wird. Epigenetische Veränderungen können unter bestimmten Umständen an die nächsten Generationen weitergegeben werden, aber weitere Forschung ist erforderlich, um festzustellen, ob dies in diesem speziellen Kontext auch der Fall ist.

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